Erzählerin, Essayistin, Übersetzerin, Kritikerin
* 19.10.1911 in Wien
† 30.11.1990 in Wien
Die „Grande Dame“ der österreichischen Literatur, als welche die Schriftstellerin bisweilen noch dieser Tage verehrt wird, kommt als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie in Wien auf die Welt. Dort besucht sie die bekannte Reformschule der Eugenie Schwarzwald und beginnt nach der Matura ein Studium der Philosophie und Psychologie, das sie 1936 mit Promotion abschließt. Gleichzeitig verkehrt sie im Café Herrenhof, dem damaligen Stammsitz der Hauptstadt-Literaten, wo sie erste künstlerische Kontakte knüpft. Mit dem Schlüsselroman „Kati auf der Brücke“ (1933), der Geschichte einer Jugendliebe aus dem Wiener Journalistenmilieu, tritt sie erstmals an eine breite Öffentlichkeit. 1936 heiratet sie den Autor Peter de Mendelssohn und emigriert mit ihm nach London, wo sie weiterhin literarischen und journalistischen Betätigungen, nunmehr meist in englischer Sprache, nachgeht. Ab 1946 hält sie sich zeitweilig wieder auf dem Festland auf, u.a. als Korrespondentin und Kritikerin englischer und deutschsprachiger Zeitungen. Ihre zwiespältigen Eindrücke bei der Wiederbegegnung mit der Heimatstadt skizziert sie in dem Tagebuch „Rückkehr nach Wien“ (1946, erschienen 1968). Als Höhepunkt ihres erzählerischen Werks gilt der Exilroman „Lisas Zimmer” (engl. 1961, dt. 1965), worin sie das Schicksaal durch den Krieg entwurzelter Intellektueller schildert. Die historische Biographie „Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation“ (1962) hält die Autorin selbst für ihr gelungenstes Werk. Vor dem Hintergrund der Frauen- und Judenemanzipation im Wien der Metternich-Ära zeichnet sie darin die Lebensgeschichte der fortschrittlichen jüdischen Gastgeberin eines großbürgerlichen Salons nach. 1963 kehrt Hilde Spiel endgültig nach Österreich zurück und arbeitet u. a. als Kulturberichterstatterin für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Beim österreichischen PEN-Club ist sie als Generalsekretärin, später als Vizepräsidentin tätig. 1971 heiratet sie in zweiter Ehe den Schriftsteller Hans Flesch-Brunningen. Den Abschluss ihres Werks markieren die viel beachteten Lebenserinnerungen „Die hellen und die finsteren Zeiten“ (1989) sowie „Welche Welt ist meine Welt?“ (1990).
Hilde Spiel hinterlässt ein vielfältiges Werk, in dessen Zentrum die Erfahrung der Emigration und das Thema der Emanzipation stehen. Insbesondere mit ihren Essays hat sie sich einen Namen gemacht. Diese enthalten, neben kulturgeschichtlichen Betrachtungen, anschauliche Portraits von Künstlern und Landschaften. Als Erzählerin, geschult an englischer Sprache, verfügt sie über einen knappen, klaren und dennoch geschmeidigen Stil. Mit ihren Übersetzungen englischer Autoren und als Journalistin leistet sie einen wichtigen Beitrag für die gegenseitige Vermittlung englisch- und deutschsprachiger Literatur. Ihre autobiographischen Schriften sind wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente. Hilde Spiel erweist sich darin als freimütige, mitunter schonungslose, doch stets taktvolle Zeugin ihres Jahrhunderts.
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„Am glücklichsten war ich in meinem Haus am Bach“, erinnert sich Hilde Spiel rückblickend an die zahlreichen Stationen ihres Lebens. Oft und gerne weilt sie in ihrem „geliebten“, wie sie nicht müde wird zu betonen, Salzkammergut; in der Jugend auf Sommerfrische an der Seite ihrer Eltern, später in jenem „Haus am Bach“ am Wolfgangsee, dicht an der Grenze zum Salzburgischen. In ihren Lebenserinnerungen gibt sie ein anschauliches Bild der hier verlebten Wochen und Monate.
Noch in den Vorkriegsjahren begegnet die frühreife junge Frau und angehende Schriftstellerin in Begleitung einer Freundin zwei gleichaltrigen Belgiern, die auf Kavalierstour quer durch Europa auch in St. Wolfgang Station machen. „Es entwickelt sich in wenigen Tagen ein merkwürdiges Wechselspiel der Gefühle, ein stetes ‚Changez les dames‘ oder auch ‚les messieurs‘, das mit ebenso viel Leichtigkeit vor sich geht wie ein Ballett.“ Dieser muntere Reigen bildet das Gerüst für Hilde Spiels zweiten Roman „Verwirrung am Wolfgangsee“ (1935), einem unbeschwerten Sommerbuch, obschon vor dem Hintergrund der sich verfinsternden Zwischenkriegsjahre verfasst, in dem das Salzkammergut die Kulisse bildet.
Während des englischen Exils bleibt St. Wolfgang ein Sehnsuchtsort, den sie erst ein Jahrzehnt nach Kriegsende wieder betreten wird. Nach 1955 hält sie sich wieder häufiger im Salzkammergut auf und bezieht gemeinsam mit ihrem Ehemann das neu erworbene „Haus am Bach“. Dieses Haus, angeschmiegt an den malerischen Dittelbach, der sich unweit in den See ergießt, und eingebettet ins Grün der Wiesen und Wälder ringsum, sollte für den Rest ihrer Tage zum Inbild idyllisch-geselligen Landlebens werden. Was anfangs als Refugium vom aufreibenden Wiener Kulturbetrieb gedacht war, wird alsbald fester Sommerwohnsitz und letztlich eigentliches Zuhause. „Glücklich hier zu sein“, notiert sie in einer Art Ritual nach jeder Ankunft in ihren Kalender. Hier lebt sie in der „Atmosphäre eines Daheimseins, einer Geborgenheit inmitten von […] Gleichgesinnten“, aus deren Kreis sich allmählich ein ungezwungener ländlich-literarischer Salon bildet: „der grüne Salon am Dittelbach“, wie er scherzhaft genannt wird. Dort verkehren Bekannte aus dem Ort ebenso wie Künstlerfreunde, die auf der Durchreise sind oder in St. Wolfgang den Urlaub verbringen. Die Schriftsteller Leo Perutz (ebenfalls auf dem Ischler Friedhof beigesetzt, siehe Grab Nr. 31), Alexander Lernet-Holenia, Friedrich Torberg, Heimito von Doderer, Elias Canetti, Thomas Bernhard, der Komponist Ralph Benatzky und der Schauspieler und Regisseur Fritz Kortner gehören u.a. diesem losen Verband an. Man begegnet einander auf der heimischen Terrasse, trifft sich „vormittags in der Imbissstube Furian, tafel[t] abends mit der bunten Runde im ‚Weißen Rössel‘ oder nasch[t] noch spät nachts in der Konditorei Wallner Zwetschkenfleck und Himbeereis.“ Zusammen mit ihrem Gatten trifft sie Thomas Mann in Strobl und Hermann Kesten in Sankt Gilgen. Im nahe gelegenen Salzburg besucht Hilde Spiel Aufführungen der Festspiele, von denen sie als Kritikerin berichtet. Dort in der Mozartstadt begegnet sie im Österreichischen Hof (heute Hotel Sacher) der Festival-Prominenz oder verabredet sich mit Ingeborg Bachmann im Café Bazar.
In unmittelbarer Nachbarschaft zum „Haus am Bach“, inmitten einer weitläufigen und wildromantischen Parkanlage hat der befreundete Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia sein Domizil. Dieser, obschon zu keiner Zeit glühender Nationalsozialist, trägt aus Trotz an seinem Lodenhut ein Verwundetenabzeichen mit nur nachlässig abgekratztem Hakenkreuz. Die Zeitzeugin Spiel bekennt dazu: „Wir schauen nicht unter den Teppich, wir klopfen den doppelten Boden nicht ab.“
Im Jahr 1970 heiratet die knapp Sechzigjährige am Standesamt von St. Wolfgang ihren zweiten Ehemann Hans Flesch-Brunningen (ebenfalls auf dem Ischler Friedhof an der Seite seiner Frau beigesetzt), der heute vorrangig als Vertreter des österreichischen Expressionismus einen Namen hat, wenngleich er in reiferen Jahren überwiegend historische und autobiographisch grundierte Romane verfasste, die – darin ähnlich den Schriften seiner Frau – um die Thematik Judentum und Exil kreisen.
Hilde Spiel ist ein naturliebender Mensch. Dies zeigt sich etwa in der Beschreibung des Panaromas, das sich von ihrem Garten aus eröffnet: „Hier im Anblick des blitzend gekräuselten Sees […], der kühnen Schafbergspitze im Rücken, der Senke der Vormauer zur Linken, der einzigartig geschwungenen Mulde zwischen Sparber und Bleckwand jenseits des anderen Ufers, werden wir tief eingesogen in eine Gemeinschaft, einen sommerlichen Lebensstil, die diesen ganzen Landstrich seit je zu einem geliebten […] Aufenthalt der Schriftsteller, Künstler und Musiker machten.“ In ihren Erinnerungen gedenkt sie auch des Wildwassers, das sich dicht am Haus seinen Weg bahnt und „an Regentagen und in den Zeiten der Schneeschmelze so wunderbar rauscht, wie man es sein Leben lang nicht mehr vergisst“ oder sie vergegenwärtigt den anfangs noch „unberührten Reiz“ jener „idyllisch romantische[n] Landschaft […] mit ihren kühnen, aber nicht allzu kühnen Berghängen, ihren sanften, aber nicht allzu sanften Weiden, dem stets in anderem Licht sich darbietenden, spiegelglatten, gekräuselten oder theatralisch aufgewühlten See – in der reinsten, der duftendsten Luft, die wir je geatmet haben.“
Umso mehr bedauert und kritisiert sie den zunehmenden ‚Gesichtsverlust‘ der Ortschaft, der sich im Zuge von Massentourismus und wachsendem Wohlstand durch überdimensionierte und stilfremde Umbauten, durch die allmähliche Zersiedelung der umliegenden Grünflächen und nicht zuletzt durch die Schlägerung des benachbarten Landschaftsparks eingestellt hat, letzteres ein Vorfall, den sie in dem knappen Prosaband „Der Baumfrevel“ (1987) zu verarbeiten sucht. Diese bedauernswerte Entwicklung ist schließlich auch Grund dafür, dass sie drei Jahre vor ihrem Lebensende St. Wolfgang zugunsten ihres Wiener Domizils unwiderruflich den Rücken kehrt.
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In St. Wolfgang hat Hilde Spiel ihr saisonales Zuhause, daneben ist sie aber auch mit dem übrigen Salzkammergut ein Leben lang eng verbunden. In Hallstatt verfasst sie ihre ersten Gedichte „auf die Morgensonne, das Vogelgezwitscher, die Kirchglocken“. In der Eisenbahn auf dem Weg von dem Seeort nach St. Gilgen wäre das Mädchen fast an einem Bissen Frankfurter Würstl erstickt. Glücklicherweise hat sie´s überlebt, was die angenehme Folge hat, dass sie sich Jahre später von den eigenen Kindern zum Skifahren auf der Postalm überreden lassen kann. Am Vorabend von Dreikönig fährt sie samt Gemahl nach Bad Ischl, um beim traditionellen Glöcklerlauf zugegen zu sein. Rückblickend bewundert sie die zahlreichen Kappenträger, die, nicht anders als in St. Wolfgang, „mit ihren holzgestützten, bemalten und von innen erleuchteten Papiergebilden von Kirchen und Heiligenfiguren auf dem Kopf laut klingelnd ihre Rundläufe machten“. In der Kaiserstadt begegnet sie auch Thomas Bernhard im Café Ramsauer, „jenem Ort im Salzkammergut, an dem die Zeit stillzustehen scheint“, speist mit Flesch-Brunningen Forelle im Hotel Post oder bespricht mit dem ortsansässigen Baumeister Brandl einen Terrassenanbau. Nicht selten sind es aber traurige Anlässe, die Hilde Spiel nach Bad Ischl führen, etwa das Hinscheiden ihrer Tante Lonny oder der Tod von Flesch-Brunningen im Ischler Spital. Von der Beisetzung berichtet sie: „Das Begräbnis […] ist schön, Männer in Ischler Tracht tragen den Sarg, der junge Pfarrer hält eine so schlichte wie kluge Rede.“ Auch bei der Beerdigung von Leo Perutz, an dessen Sterbebett sie nachts zuvor gewacht hat, zählt sie zur Trauergemeinde.
In ihrer Wiener Wohnung, an einem Novembertag des Jahres 1990 ereilt sie schließlich selbst der Tod. Es folgen die Überführung nach Bad Ischl und die Beisetzung an der Seite ihres zweiten Ehemanns, der Eltern und der Tante (die Gedächtnisinschrift am Grabstein ist der Vorbesitzerin der Gruft gewidmet), „an einem“, wie sie in ihren Erinnerungen rühmt „der schönsten Friedhöfe der Welt.“
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Dieses befindet sich in der rechten Gruftreihe unter dem Namen "Hilde Maria Flesch-Brunningen".
in zweiter Ehe (1970) verehelicht mit dem Schriftsteller Hans Flesch von Brunningen (†1981), der ebenso in dieser Gruft bestattet ist, wie ihre Eltern, die in Bad Ischl eine Villa besaßen.
In der Gruft war früher Gräfin Michelina Badeni (†Ischl 1854) bestattet.
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