NS-Überlebender, Zeitzeuge
* 17.11.1929 in Lyon
† 20.02.2015 in Wien
Friedrich Zawrel wurde am 17. November 1929 in Lyon als Friedrich Pumperla geboren. Seine Mutter arbeitete dort als Spinnerin, um der Arbeitslosigkeit in Wien zu entgehen. Als sie auch in Lyon ihre Arbeit verlor, kehrte sie mit ihrem Sohn nach Wien zurück.
Zawrel wuchs in sehr schwierigen sozialen Verhältnissen auf. Der Vater war Alkoholiker, die Mutter wurde delogiert, weil sie die Miete nicht bezahlen konnte. Somit mussten Friedrich und sein Bruder zu Pflegeeltern, später in ein Erziehungsheim. Nach dem Anschluß landete er, eingestuft als “schwer erziehbares Kind”, in psychiatrischen Kinderabteilungen verschiedener Krankenhäuser.
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“Dann ist der Einmarsch gekommen. Ich bin damals schon, glaube ich, in die erste oder zweite Klasse gegangen, und jedenfalls bei uns... Ich bin schon in der Schuschnigg-Zeit noch in die Schule gekommen, und immer wenn wir in die Klasse gekommen sind, wir haben ein großes Kruzifix hängen gehabt, und da ist immer ein Vaterunser gebetet worden vor dem Unterrichtsbeginn, und eines nach dem Unterrichtsbeginn. Und, außerdem, das war so komisch, der Herr Bodoschek, das war so quasi mein Pflegegroßvater, der hat mir immer erzählt von Hitler, immer, jedes Mal [wenn] ich mit ihm auf der Bank im Garten gesessen bin, hat er mir nur von Hitler erzählt: „Na jetzt wird es eh besser werden und alles, und jetzt kommt der Hitler, der wird es ihnen schon zeigen.“
Und da habe ich dann eigentlich in der Schulklasse den ersten Schock, wenn man so will, im Dritten Reich, erlebt. Wir sind im Klassenzimmer gewesen, wir haben ein Vaterunser gebetet, der Unterricht hat angefangen, und vielleicht eine Stunde später ist der Schuldiener gekommen, mit einer Leiter ist er hinaufgestiegen zum Kruzifix, hat es heruntergenommen, der hat es nicht heruntergegeben, der hat es abgehängt und hat es auf den Boden geworfen. Und da ist das..., überhaupt Jesus Christus, nicht, ich weiß nicht, was das für ein Material war, der ist ja viel..., das ist ja viel..., wie sagt man, der Jesus Christus ist in alle Teile zerbrochen. Na, ich habe jetzt momentan an die Frau Bodoschek gedacht, ja, ich habe jetzt geglaubt, also jetzt müssen, so wie bei der Kreuzigung, müssen jetzt tausende Engel kommen und das rächen. Nichts ist gekommen, nichts ist gekommen. Na, und dann habe ich noch gesehen, der Schuldiener hat so einen kleinen Wagen mitgehabt, das war ein Mistwagen, dort hat er es hineingeworfen und hat es weggeführt. Und ab diesem Tag hat es auch kein Vaterunser gegeben, das Vaterunser haben sie reduziert auf zwei Worte: „Heil Hitler!“
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1943 schließlich kam er in die Krankenanstalt am Spiegelgrund und war dort bis 1944 in einer Einzelzelle des Pavillon 17 eingesperrt. Die Krankenanstalt am Spiegelgrund war die zweitgrößte “Kinderfachabteilung” des deutschen Reiches. Kranke, behinderte und vermeintlich erblich belastete Kinder und Jugendliche wurden am Spiegelgrund “behandelt”. Nunmehr befindet sich im Wiener Stadt- und Landesarchiv ein Totenbuch, in dem alle Todesfälle von der Gründung der Anstalt im Juli 1940 bis zum Kriegsende penibel aufgelistet sind. Aus diesem geht hervor, dass 789 Kinder und Jugendliche ermordet wurden. Der Anstaltsarzt Dr. Gross stufte Zawrel in einem Gutachten als „erbbiologisch und sozial minderwertig“ ein und folterte und quälte ihn mit zahlreichen „medizinischen“ Versuchen.
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“Der Tagesablauf, der war, ich glaube um sieben Uhr, nein sechs Uhr, glaube ich, war Wecken. Dann Zähneputzen und – Zähneputzen und Waschen, dann zurückgehen, Bettenbau. Ich habe ja als kleiner Bub schon das Bett selber bauen müssen, Bettenbau machen. Na und dann, je nachdem, welche Schwester Dienst gehabt hat, die eine hat, [was] weiß ich, vielleicht oft einmal etwas vorgelesen, dann, eine Schwester haben wir gehabt, da hast du den halben Vormittag singen müssen, nicht, das war so ein kleines Nazifräulein, und die hat immer nur wollen hören: „Deutsch ist die Saar, deutsch immerdar.“
Und sie haben dich auch erniedrigt. Ich will ja das gar nicht sagen, ich will das gar nicht, ich weiß nicht. Ich muss mir das überlegen, ob ich das sagen soll, weil das haben Erwachsene gegenüber Kindern gemacht, angeblich in einem Jugendfürsorgeheim. Mit der Unterhose hat man hingehen müssen, und die hat geschaut, ob man sie beschmutzt hat. Wissen Sie, wie das ist, wenn du das einmal, nein, man darf über das nicht reden, weil dann kannst du es nicht, dann kannst du es ganz einfach nicht begreifen. Und, ja, und wenn du dann fertig warst, da hat es dann das Nachtmahl gegeben. Und da haben sie dann noch ein bisschen herumgetollt, Fangen gespielt und weiß ich, was [es] da alles für Spiele gegeben hat. Draufhauen und hinhauen und..., ich habe mir von dem allem nichts gemerkt, also und dann war Nachtruhe, und so ist das - so ist das immer jeden Tag immer der gleiche Ablauf gewesen. Aber insgesamt war ich am Spiegelgrund damals, glaube ich, neun Monate.”
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“Also wie ein Stück Vieh haben sie mich da auf den Pavillon 17 gezerrt, und als ich drinnen war, im Pavillon, habe ich die Erste über den Schädel bekommen, die war so eine Verkehrte von hinten, dass ich geglaubt habe, der Schädel reißt mir ab, nicht. Na, und da bin ich dann gekommen in eine Abteilung für Jugendliche, da war kein einziger krank. Die waren geistig voll da, die waren körperlich voll da, die waren direkt durchtrainierte Sportler, und weiß Gott was. Aber nur sind sie als schwer erziehbar eingestuft worden, und die Jugendlichen, und in diese Gruppe bin ich auch gekommen, sind nur zur Beobachtung hingekommen, und dann hat der Doktor Illing ein Gutachten geschrieben.
Und wenn der hingeschrieben hat: „Der Jugendliche ist nicht mehr erziehbar“, dann hat es nur mehr eine Möglichkeit gegeben: von dort nach Moringen. Und dieses Moringen, das haben nur die Wenigsten überlebt. Wenn man ein paar Jahre dort war, und es ist nichts vorgefallen, dann hat man können – das weiß ich nur von..., wie mir das der Dietrich erzählt hat – bedingt entlassen werden, aber die meisten sind jämmerlich verreckt in dem...”
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Eine Krankenschwester ermöglichte Friedrich durch den Hinweis auf eine offene Tür die Flucht. Als er ein Paket mit Lebensmitteln stehlen wollte, wurde er aufgegriffen und in die Justizanstalt Kaiserebersdorf gebracht.
Friedrich Zawrel arbeitete nach seiner Freilassung als Hilfsarbeiter und heiratete, doch die Ehe scheiterte nach fünf Jahren. Er kam wiederholt in Konflikt mit dem Gesetz, weil er verschiedene Eigentumsdelikte beging, und war auch längere Zeit in Gefängnissen.
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1975 sollte ihn Heinrich Gross, der inzwischen als hoch angesehener Facharzt und Gerichtsgutachter Karriere gemacht hatte, im Gefängnis psychiatrisch untersuchen.
Heinrich Gross war Parteimitglied der SPÖ und erhielt das Bundesverdienstkreuz für Wissenschaft und Kunst. Außerdem agierte er als der einflussreichste Gerichtsgutachter der Republik. In dieser Funktion saß er nun seinem ehemaligen Opfer Friedrich Zawrel gegenüber. „Für einen Akademiker ham Sie aber ein schlechtes Gedächtnis“, antwortete Zawrel, als Gross ihn nicht erkannte. Als er für Zawrel dann das Gerichtsgutachten wegen eines Überfalls schreiben sollte, zitierte er sich mit den Worten „erbbiologisch und sozial minderwertig“ selbst und sorgte damit dafür, dass Zawrel für viele Jahre in die Justizanstalt Stein gesperrt wurde.
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“Der ist genauso wie damals, nicht. Ich habe ihn reden lassen. Und jetzt habe ich mir gedacht, machst du mit ihm Schluss, nicht, also vielleicht begreift er dich. Habe ich gesagt: „Glauben Sie mir, Herr Doktor, ich kenne Menschen, die haben hunderttausende mal mehr verbrochen als ich. Sind angesehene Bürger, sind in hohen Stellungen, tragen Auszeichnungen der Republik“, weil er hat den Körner Preis bekommen, und den für Wissenschaft und Kunst, weil er an den Gehirnen, wo er den Totenschein unterschrieben hat, weiter herumgetan hat. Und: „Die haben tausende mal mehr verbrochen, aber da kommt kein Staatsanwalt und so. Aber bei mir?! Polizei, Staatsanwalt, Richter, Psychiater, wer wird denn noch alles kommen?“ – „Ja, Sie dürfen doch nicht glauben, dass Sie machen dürfen, was Sie wollen.“ Sage ich: „Das weiß ich schon, aber das wissen die Anderen damals auch. Die haben auch gewusst, dass sie das nicht machen dürfen, und haben es trotzdem gemacht.“ Na, und so ist das eben dann hin und her gegangen, und dann ist das von selbst gekommen, wie wenn ein Donnerwetter kommt. Hat er gesagt: „Sind Sie schon einmal psychiatriert worden?“ Und da habe ich zu ihm gesagt, sage ich: „Herr Doktor, für einen Akademiker haben Sie ein sauschlechtes Gedächtnis.“ Sagt er: „Woran soll ich mich denn erinnern können?“ Da war er noch so aufbrausend. Habe ich gesagt: „Ich hoffe, dass Sie den Doktor Jekelius, den Doktor Krenek, den Doktor Illing, die Hübsch, die Türk, die Jokl“, und habe ich halt so alle aufgezählt, „dass Sie die nicht schon vergessen haben. Also vielleicht, das kann man. Aber können Sie überhaupt noch ruhig schlafen, haben Sie die kleinen Kinder nicht weinen gehört auf dem Balkon draußen, haben Sie das nie gehört?! Die, die umgebracht worden sind.“ Der hat sich so zurückgelehnt. Der ist so weiß geworden wie der Plafond. Dann hat er sich vorgebeugt, der hat ausgeschaut, als wäre er 50 Jahre älter geworden. „Sie waren da oben?“ Sage ich: „Was glauben Sie, von wo ich Sie kenne?!“ – „Sie haben nie darüber gesprochen?“ Sage ich: „Nein, und ich wollte auch heute nicht darüber reden. Ich habe meiner Mutter gegenüber ein Ehrenwort gebrochen, und das ist nicht so einfach.“ Na, und: „Ja, dann...“, dann ist er richtig, wie soll ich Ihnen sagen, richtig schäbig geworden. „Ja, das ändert doch alles. Ja, das ist doch ein ganz neuer...“, wie sagt man da, „Ausgang“, nimmt das Ganze da. Und jedenfalls, mit einem Wort, er hat mir sämtliche gutachterliche Hilfe versprochen, die er geben kann. Und der Bettelheim war damals mein Rechtsanwalt, und dem habe ich das erzählt. Und da hat er gesagt: „Also dann brauchen Sie mich sowieso nicht mehr, wenn der Groß das in die Hand nimmt.“ Und ich habe noch gesagt, sage ich: „Herr Doktor, bleiben Sie nur, ich traue dem nicht, was er sagt“, nicht. Und dann kommt..., 14 Tage später, hat mir der Richter das Gutachten gegeben, das der Heinrich Groß geschrieben hat. Ich habe zum Lesen angefangen, ich habe mir gedacht, das kann nicht mein Gutachten sein. Das gibt es gar nicht. Habe ich es gelesen, dann habe ich noch einmal zugemacht, ja, Friedrich Zawrel steht da drauf. Der hat ein Gutachten geschrieben, da war ich tausend mal schlimmer als alle Vergaser in Auschwitz und was weiß ich, was ich da sagen soll, nicht. Und, jetzt habe ich mir gedacht, das kannst du dir nicht gefallen lassen, und habe den... Ja, und weil das Gutachten, der traut sich das im ’75 Jahr zu schreiben, der Doktor Illing ist ’46 zum Tod verurteilt worden, ist ’46 im November hingerichtet worden im Straflandesgericht. Und im Jahr eintausend[neunhundert]fünfundsiebzig zitiert ein Gutachter der Republik das Gutachten von einem verurteilten Massenmörder. Weil der ist ja verurteilt worden wegen 200-fachen Meuchelmords und wegen Quälens von Kindern. Na, und das Gutachten fängt an: „Der Untersuchte entstammt einer erbbiologisch-soziologisch minderwertigen Sippe.“ Derselbe Satz, den der Illing geschrieben hat, und da habe ich mir gesagt: „Jetzt lasse ich mir das nicht mehr gefallen.“ Und habe das alles dem [Justizminister] Doktor Christian Broda geschrieben, und der Christian Broda hat mir nicht geantwortet.”
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1981 wurde Friedrich Zawrel zum letzten Mal aus dem Gefängnis entlassen. Entgegen den Prognosen von Gross gelang ihm der Ausstieg aus der Kriminalität: Er machte den Führerschein, den man ihm lange Zeit wegen seiner Vorstrafen verweigert hatte, und war noch 15 Jahre lang als Auslieferungsfahrer tätig. Er wurde u. a. vom Arzt Werner Vogt (von der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin) und später vom Journalisten Florian Klenk unterstützt.
Friedrich Zawrel verarbeitete seine Erlebnisse am Spiegelgrund bis ins hohe Alter. Seine Erinnerungen und Erzählungen sind ein Zeitdokument von unschätzbarem Wert. Seine Vorträge in Schulen im ganzen Land haben tausende Schüler schockiert und gerührt. Und sie waren und sind Grundlage für zahlreiche Publikationen, Dokumentationen und Filme.
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Das Figurentheaterstück „F.Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“ entstand in enger Zusammenarbeit mit Zawrel selbst. Seine sehr persönlichen Gespräche, die er mit Puppenspieler Nikolaus Habjan und Regisseur Simon Meusburger geführt hat, dienten als Grundlage für dieses Projekt. Habjan schlüpft in dieser Produktion nicht nur in die Rolle von Zawrel, sondern auch in die des Arztes Gross und durchlebt in einzelnen Stationen diese außergewöhnliche Geschichte. Ein Stück erlebbare Zeitgeschichte, die bis in die Gegenwart reicht.
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Friedrich Zawrel leistete einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Heinrich Gross enttarnt und im Jahr 2000 des Mordes angeklagt wurde. Aufgrund der Demenz des Angeklagten, der 2005 verstarb, wurde Gross nie verurteilt. Zawrel wurde erst im Jahr 2002 rehabilitiert und als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. 2008 wurde er mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien, 2013 mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich geehrt.
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„Während der Verhandlung am 25. Mai 1976 wiederholt Dr. Gross alle Vorwürfe. Er zitiert aus dem Illing-Gutachten von 1944. Er zerrt eine unbewiesene, völlig absurde Anschuldigung aus der NS-Zeit an die Öffentlichkeit in ein Strafverfahren, mit dem meine Geschwister überhaupt nichts zu tun haben. Ich verstehe vieles nicht, ich bin total weg. Ich denke mir nur die ganze Zeit: „Nur nichts sagen, keine Debatte, damit die Geschwister nicht auch noch reingezogen werden.“
Friedrich Zawrel
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Friedrich Zawrel starb am 20. Februar 2015. Die Verabschiedung fand am 16. März in der Feuerhalle Simmering statt. Redner waren Werner Vogt, Sonja Wehsely, Wolfgang Brandstetter und Nikolaus Habjan.
Friedrich Zawrel wurde am 20. April 2015 auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem ehrenhalber gewidmeten Grab bestattet. Das Grab befindet sich in unmittelbarer Nähe der auf der Gruppe 40 gelegenen Gedenkstätte für die Opfer des Spiegelgrunds.
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Im Otto-Wagner Spital gibt es eine Dauerausstellung, welche die NS-Medizinverbrechen am Spiegelgrund dokumentiert. Die Ausstellung ist zudem virtuell zugänglich.
http://gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/wien-steinhof
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Am 28. April 2002 wurden hier knapp 600 Urnen mit den sterblichen Überresten
von den Opfern der NS-Kindereuthanasie Am Spiegelgrund (Steinhof) begraben.
Auf acht Platten sind die Namen der Opfer angeführt.
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Friedrich Zawrel hat als Zeitzeuge zahlreiche Schulen besucht, Vorträge gehalten, und seine Erinnerungen weitergegeben. Als Zeitdokument sind seine Erinnerungen von unschätzbarem Wert. Im Gedenken an ihn und die Kinder am Spiegelgrund hat unser Redakteur Jürgen Heimlich an seinem heutigen Geburtstag ein Gesteck an seinem Grab niedergelegt.
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