Dr.
Politiker und Jurist, erster Bundespräsident der zweiten Republik
* 14.12.1870 in Untertannowitz, Mähren
† 31.12.1950 in Wien
Karl Renner wurde am 14. Dezember 1870 in Untertannowitz, Mähren, geboren. Er war eines von 16 Kindern einer Bauernfamilie, und hatte einen Zwillingsbruder. Seine Eltern waren wohlsituierte Bauern mit bescheidenem Hof. Die beginnende Industrialisierung ließ sie in ökonomische Schwierigkeiten geraten. Der Hof musste zwangsversteigert werden. Die Eltern waren dazu gezwungen, ins Armenhaus zu übersiedeln. Die meisten Familienmitglieder emigrierten. Dem jüngsten Kind der Familie, Karl Renner, ermöglichte die Gemeinde den Besuch des Gymnasiums in Nikolsburg, wo er 1889 als Vorzugsschüler seine Matura mit Auszeichnung ablegte.
Von 1891 bis 1896 studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien. 1896 promovierte er zum Doktor der Rechte. Aufgrund einer Empfehlung seines Universitätslehrers Eugen von Philipovich erhielt er eine befristete Stelle in der Bibliothek des Reichsrates, des Parlaments der österreichischen Reichshälfte.
Während des Studiums schloß er sich der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an. Er begann bald Vorträge für Arbeiter zu halten, etwa über modernes Weltbild und sozialdemokratische Weltanschauung. Die damalige Partei verstand sich als Bildungsbewegung und brauchte für ihre Zukunftspläne Juristen, Ökonomen, Historiker, Philosophen, die der Arbeiterschaft Aufklärung, Wissen, Kultur vermitteln sollten.
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Ab 1899 veröffentlichte Karl Renner zahlreiche politische Schriften, wobei er als Staatsbeamter meist Pseudonyme, wie etwa "Synopticus", "Joseph Karner" oder "Rudolf Springer" verwenden musste. Er interessierte sich besonders für Fragen der Sozialpolitik sowie der nationalen Frage, in der er als Verfechter einer föderalistischen Neuordnung der österreichisch-ungarischen Monarchie hervortrat.
Im Jahre 1907 wurde er in den Reichsrat berufen. Er widmete sich auch dem Genossenschaftswesen, woraus 1910 umfangreiche Abhandlungen über „Landwirtschaftliche Genossenschaften“ und „Konsumvereine“ hervorgingen.
Karl Renner plädierte während des ersten Weltkriegs für die Aufrechterhaltung der Monarchie. Gesammelte Artikel in diesem Kontext erschienen 1916/17 unter dem Titel „Österreichs Erneuerung“.
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Nachdem die Monarchie zusammen gebrochen war, übernahm Renner 1918 als Staatskanzler die Bildung der ersten Regierung der Ersten Republik. Er blieb in dieser Funktion bis zum 7. Juli 1920, und hatte wesentlichen Anteil an der formalen Staatswerdung der Republik, am Habsburgergesetz und am Zustandekommen des Bundes-Verfassungsgesetzes. Die harten Bedingungen der Westmächte musste er als Leiter der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen von St. Germain akzeptieren. Danach war er bis 1923 und anschließend wieder von 1931 bis 1933 Präsident des Nationalrates, dem er von 1930 bis 1934 auch als Abgeordneter angehörte.
Karl Renner gründete 1922 die Arbeiterbank mit dem Ziel, Arbeitern günstige Kredite zu verschaffen, und ein Gegengewicht gegen die „bürgerlichen“ Großbanken zu etablieren.
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1927 hielt er auf dem Parteitag der Sozialdemokraten eine Grundsatzrede, in der er seine theoretische und strategische Gegenposition zu Otto Bauer formuliert. Renner galt als führender Vertreter des Astromarxismus, der sich zwar auf Marx berief, den Marxismus jedoch sehr eigenwillig interpretierte. So lehnte er Revolution und revolutionäre Strategien wie auch verbalen Radikalismus ab. Damit lassen sich die Spannungen zwischen dem “rechten” Renner und dem linken Flügel unter der Führung von Otto Bauer erklären. Für Zündstoff sorgte die Frage der Zusammenarbeit mit den Christlich-Sozialen.
Als die Sozialdemokraten 1930 die Stimmenmehrheit erreichten, wurde Karl Renner Erster Präsident des Nationalrates. Am 4. März 1933 ließ sich Renner von Bauer und Seitz dazu überreden, seinen Vorsitz als Erster Präsident zurückzulegen, um den Sozialdemokraten eine Abstimmungsniederlage zu ersparen. Dieser Rücktritt führte auch zum Rücktritt der beiden anderen Präsidenten (Christlich-Soziale und Großdeutsche Volkspartei) und bot Engelbert Dollfuß den willkommenen Vorwand, das Parlament auszuschalten und den „Ständestaat“, eine Art katholisch-faschistischer Diktatur, auch „Austrofaschismus“ genannt, einzuführen. Nach dem letzten legalen Parteitag der Sozialdemokraten im Oktober 1933 arbeitete Karl Renner einen Verfassungsentwurf aus, der den Wünschen von Dollfuss entgegenkommen und gleichzeitig seiner Partei eine legale Opposition ermöglichen soll.
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Am 12. Februar 1934 wurde Karl Renner verhaftet und für 100 Tage in Haft gehalten. Die Anklage wegen Hochverrats wurde allerdings zurück gezogen. Er fällte die Entscheidung, sich nach seiner Haft nach Gloggnitz zurückzuziehen. Nunmehr hatte er die Möglichkeit, sich intensiv mit wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten zu beschäftigen.
Am 3. April 1938 erschien im "Neuen Wiener Tagblatt" ein Interview, in dem er den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich begrüßte. Der Großteil der österreichischen Sozialdemokraten emigrierte oder wurde von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager gesteckt. Über Renner verhängten die Nationalsozialisten nur Hausarrest, den er in seinem Haus in Gloggnitz verbrachte.
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Die rote Armee besetzte im April 1945 auch Gloggnitz. Renner nahm dies zum Anlass, sofort Kontakt mit der sowjetischen Kommandantur aufzunehmen. Stalin soll angeblich entschieden haben, Karl Renner mit der Wiederherstellung eines selbständigen Staates Österreich zu betrauen.
In Wien hatten die drei wiederbegründeten Parteien im Wiener Rathaus bereits eine neue Stadtverwaltung gebildet, als Karl Renner am 20. April 1945 eintraf. In der sowjetischen Kommandantur in der Kantgasse führte Renner ein erstes Gespräch mit Adolf Schärf; wenig später begannen die Verhandlungen mit den Vertretern der drei Parteien über die Bildung einer provisorischen Regierung. Die Sowjets vertrauten Renner und ernannten ihn zum Chef einer provisorischen Staatsregierung. Karl Renner entwarf die Unabhängigkeitserklärung der neuen Republik und verkündete sie am 27.April 1945.
Die wichtigste Aufgabe Karl Renners bestand nun darin, die Anerkennung seiner Regierung durch die Westmächte und die demokratischen Kräfte in den westlichen Bundesländern zu erlangen. Mitte September stimmte der Alliierte Rat, das gemeinsame Organ der vier Besatzungsmächte, einer "Länderkonferenz" zu, in der Vertreter aller Bundesländer mit der Provisorischen Regierung verhandeln sollten. Diese Konferenz tagte am 24. und 25. September in Wien; in der Folge wurde die Regierung Renner als gesamtösterreichisch anerkannt und um Vertreter der westlichen Bundesländer erweitert. Es war das persönliche Verdienst Karl Renners, dass in Österreich als erstem befreiten Land in Europa bereits Ende November 1945 landesweite demokratische Wahlen abgehalten werden konnten.
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Die von Renner mitentworfene und als Erstunterzeichner unterschriebene Österreichische Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 erwähnte das Schicksal der jüdischen Österreicher in der NS-Diktatur nicht, hauptsächlich um die damals gängige Opferthese zu stützen und etwaige Reparationszahlungen an die Opfer des Nationalsozialismus hintanzustellen.
Renner sagte anlässlich der 28. Kabinettsratssitzung vom 29. August 1945:
„Ich finde, dass wir in Bezug auf die Behandlung des Naziproblems in eine kritische Situation kommen. Ich will nicht behaupten, dass ich damit Recht habe, aber die Sache ist nach meinem Gefühl doch so, dass alle diese kleinen Beamten, diese kleinen Bürger und Geschäftsleute bei dem seinerzeitigen Anschluss an die Nazis gar nicht weit tragende Absichten gehabt haben – höchstens, dass man den Juden etwas tut –, vor allem aber nicht daran gedacht haben, einen Weltkrieg zu provozieren.“
Schließlich wurde Karl Renner am 20. Dezember 1945 von der Bundesversammlung einstimmig zum ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählt.
In dieser Funktion stehend sagte er in einer Ansprache vor dem Palästina-Komitee zur Zukunft von Österreichs Juden:
„… die jüdische Gemeinde kann sich nie erholen. (…) glaube ich nicht, dass Österreich in seiner jetzigen Stimmung Juden noch einmal erlauben würde, diese Familienmonopole aufzubauen. Sicherlich würden wir nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher käme und sich hier etablierte, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen.“
Als Bundespräsident war Renner in den Jahren 1945 bis 1950 eine Integrationsfigur und ein ständiger Mahner zu Zusammenarbeit, Erhaltung der Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Wiedererlangung der Souveränität. Er übte das Amt des Bundespräsidenten bis zu seinem Tod aus.
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taat und Nation. Zur österreichischen Nationalitätenfrage, Wien 1899 (unter dem Pseudonym Synopticus)
Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat, 1902
Grundlagen und Entwicklungsziele der österreichisch-ungarischen Monarchie, 1906
Die Nation als Rechtsidee und die Internationale. Wien 1914
Österreichs Erneuerung, 3 Bände, Wien 1916
Marxismus, Krieg und Internationale, Stuttgart 1917
Die Gründung der Republik Deutschösterreich, der Anschluss und die Sudetendeutschen.(Hg. Karl Renner), verfasst 1938, veröffentlicht Wien 1990
An der Wende zweier Zeiten. Lebenserinnerungen Wien 1946
Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs, Zürich 1946
Nachgelassene Werke, 3 Bände, 1952-53
Österreich von der Ersten zur Zweiten Republik, Wien 1953
Das Weltbild der Moderne, Wien 1954
Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion, Stuttgart 1965
Mensch und Gesellschaft. Grundriss einer Soziologie, Wien 1965
Porträt einer Evolution, herausgegeben von H. Fischer, 1970
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1945: Umbenennung der Staatsbrücke in Gloggnitz in Dr.-Karl-Renner-Brücke
1951: Karl-Renner-Preis der Stadt Wien
1956: In Wien Innere Stadt (1. Bezirk) wurde ein Teil der Wiener Ringstraße in Dr.-Karl-Renner-Ring umbenannt.
1964: Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis
1970: 50-Schilling-Silbermünze zum 100. Geburtstag
1972: Die Politische Akademie der SPÖ im Schloss Altmannsdorf in Wien nennt sich Dr.-Karl-Renner-Institut.
1979: In der Renner-Villa Gloggnitz wurde ein Dr.-Karl-Renner-Museum eingerichtet.
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Karl Renner erlitt am Weihnachtsabend 1950 einen Schlaganfall. Er starb Am 31. Dezember um 1 Uhr morgens. Er hat seine letzte Ruhestätte in der Präsidentengruft am Wiener Zentralfriedhof gefunden.
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