Dr.
Literatur- und Sprachwissenschaftler
* 20.05.1942 in Zagreb
† 07.09.2008 in Wien
Wendelin Schmidt-Dengler wurde am 20. Mai 1942 in Zagreb geboren. Er war der Sohn eines Buchhändlers, woraus seine Liebe zur Literatur erwachsen sein mag. Er wuchs in Weiz (Steiermark) auf, zog aber bereits 1948 mit seiner Familie nach Wien um. Die Volksschule in Wien besuchte er ab 1948. Danach war er von 1952 bis 1960 Schüler des Gymnasiums in der Stubenbastei. Nach der Matura inskribierte er an der Universität Wien Klassische Philologie und Germanistik. Er hätte sich auch vorstellen können, Mathematik zu studieren und war nicht der Auffassung, dass die Geisteswissenschaften einen weichen Kern haben: “Denn im Grunde haben unsere Fächer einen genauso harten Kern, verlangen eine beinharte Arbeit und auch entsprechende Exaktheit."
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Schmidt-Denglers Hauptfach war zunächst die Klassische Philologie, in der er auch über Aurelius Augustinus Confessiones promovierte. Er selbst meinte, dass es “Zufall” gewesen wäre, nach dem Studium nicht als Lehrer an einem Gymnasium zu wirken, sondern als Assistent an das Germanistik-Institut verschlagen zu werden. 1974 habilitierte er am Institut für Germanistik mit einer Studie über die Wirkungsgeschichte antiker Mythologeme in der Goethe-Zeit.
Er betrieb wohl auch Understatement, indem er der Auffassung war, es hätten sich folglich weitere Chancen ergeben. So wurde er 1980 zum außerordentlichen, 1989 schließlich zum ordentlichen Professor für Neuere deutsche Literatur berufen.
Wendelin Schmidt-Dengler hielt zahlreiche Vorträge, beteiligte sich an Konferenzen und war Gastprofessor in Klagenfurt (1975), Salzburg (1978), Graz (1982), Pisa (1984), Neapel (1986) und Stanford (1991). Aus seinen Gastprofessuren erwuchs sein Bekanntheitsgrad, der die Stadt- und Landesgrenzen weit überschritt.
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Er liebte die Literatur, und war ein leidenschaftlicher Leser. Somit nahm er die Möglichkeit wahr und wirkte als öffentlichkeitswirksamer Literaturkritiker. Dies tat er schon zu seiner Zeit als Assistent des Instituts für Germanistik: "Man hat als Assistent nicht sehr viel verdient. Und beim Rundfunk gab es die Möglichkeit, für 600 Schilling eine Rezension zu schreiben und dann auch noch das Buch dafür zu kriegen." Die vier Jahrzehnte seiner Laufbahn waren dementsprechend sowohl von seiner Produktivität als Germanist als auch von seinen Aufgaben als Literaturkritiker geprägt. Er hatte in diesem Kontext ein hohes Arbeitsethos: "Ich habe mir vorgenommen, täglich 80 Seiten zu lesen - die Hälfte Belletristik und die Hälfte Wissenschaft - sowie ein bis zwei Typoskriptseiten pro Tag zu verfassen."
Die Schwerpunkte seiner vielfach preisgekrönten Tätigkeit waren die Antikenrezeption seit dem Humanismus, die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts sowie die österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.
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Ab 1996 fungierte Wendelin Schmidt-Dengler auch als Leiter des Österreichischen Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek. Seinem Stellenwert in der internationalen Forschungsgemeinschaft und dem Respekt, den er in den Kreisen der AutorInnen genoss, ist es zu verdanken, dass das Literaturarchiv in diesen Jahren ein beachtliches Renommee erlangen konnte. So kamen neben bedeutenden Nachlässen auch Vorlässe und Sammlungen von GegenwartsautorInnen wie Günther Anders, Albert Drach, Elfriede Gerstl, Peter Handke, Josef Haslinger, Peter Henisch, Ernst Jandl, Alfred Kolleritsch und Robert Schindel ans Literaturarchiv.
Er gab viele Werkausgaben heraus, von Doderer über Fritz von Herzmanovsky-Orlando bis Albert Drach. Besonders hervorzuheben ist die von ihm mitherausgegebene, auf 22 Bände angelegte Bernhard-Werkausgabe bei Suhrkamp.
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Er erzählte im Rahmen eines Interviews einmal über seine einzige Begegnung, die er je mit Thomas Bernhard hatte: „Ich sitz da im Café Bräunerhof, und er sitzt auch dort. Plötzlich kommt er zielstrebig auf mich zu. Ich war auf alles gefasst, auf alles. Er fragte mich dann aber nur: ,Ist die ,Frankfurter‘ frei?‘ Ich bewies geistesgegenwärtig meine Werkkenntnis und antwortete mit einem Bernhard-Titel: Ich sagte ,Ja‘."
Thomas Bernhard war neben Johann Nestroy sein erklärter Lieblingsautor.
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Wendelin Schmidt-Dengler verstand sich nicht als “Literaturpapst”, er verstand sich fast schon als Gegenpol zu Marcel Reich-Ranicki, in dessen “literarischem Quartett” er am 13.8.1992 zu Gast war. Die mehrschichtige Literatur verstand er in diesem Sinne: "Wir brauchen keine führende Kritikerstimme, kein literarisches Duett, Terzett oder Quartett . . ., sondern ein Orchester, das sich auf Polyphonie versteht."
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Stilistische studien zum aufbau der konfessionen Augustins. Wien 1965, OCLC 494359923 (Dissertation Universität Wien, 1965).
Genius. Zur Wirkungsgeschichte antiker Mythologeme in der Goethezeit. Beck, München 1978, (Habilitationsschrift Universität Wien, 1974, unter dem Titel: Genius: ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte antiker Mythologeme in der Goethezeit. ÖNB Hauptabt. Heldenplatz).
Eine Avantgarde aus Graz. Carinthia, Klagenfurt 1979.
mit Martin Huber (Hrsg.): Statt Bernhard. Über Misanthropie im Werk Thomas Bernhards. Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1987
Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945–1990. Residenz, Wien/ Salzburg 1995.
Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bernhard. Sonderzahl, Wien 1997.
Der wahre Vogel. Sechs Studien zum Gedenken an Ernst Jandl. Edition Praesens, Wien 2001.
Nestroy. Die Launen des Glückes. Zsolnay, Wien 2001.
Ohne Nostalgie. Zur österreichischen Literatur der Zwischenkriegszeit. Böhlau, Wien/ Köln/ Weimar 2002
Dazu kommen etwa 400 Publikationen in Zeitschriften und Sammelbänden (1964 bis 2004).
Literarische Außenseiter: Friedrich Hölderlin, Franz Kafka. Hörbuch-CD und Begleitheft, 74 Minuten (= Edition Radio-Literatur), ORF Ö1, Wien 2006
Gerald Sommer (Hrsg.): Jederzeit besuchsfähig. Über Heimito von Doderer. C.H. Beck, München 2012
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1968: Theodor-Körner-Preis
1978: Förderpreis der Stadt Wien
1994: Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik
1997: Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften
2002: Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien
2007: Wissenschaftler des Jahres[3]
2007: Internationaler Preis „Europas Literaturkathedralen“
2008: Julius-Campe-Preis
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Am 7. September 2008 verstarb Wendelin Schmidt-Dengler völlig überraschend an den Folgen einer Lungenembolie.
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Nach dem Tod Wendelin Schmidt-Denglers 2008 wurde seine Privatbibliothek von seiner Gattin Maria Schmidt-Dengler der Fachbereichsbibliothek Germanistik, Nederlandistik und Skandinavistik übergeben, um sie öffentlich zugänglich zu machen. Die Bibliothek umfasste ca. 8.000 Bände.
Die Bücher sind vor Ort zu den Öffnungszeiten der Fachbereichsbibliothek benutzbar.
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Seine letzte Ruhestätte ist auf dem Zentralfriedhof in Wien.
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